26.02.04

Berlinale in Augenblicken

Wie angekündigt nun ein paar Eindrücke vom cineastischen Teil meines Kurzaufenthalts bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2004.

Für einen (verhältnismäßigen) Provinzler ist in Berlin zunächst einmal die Größe der Kinosäle beeindruckend und die Tatsache, dass dort zur Berlinale-Zeit Filme gespielt werden, die man in Lichtspielhäusern dieser Größe und auf derart ausladenden Leinwänden kaum mehr gewohnt ist.
Sieht man dann etwa den neuen Film von Theo Angelopoulos, Trilogie: Die Erde weint, im über 900 Menschen fassenden Hauptsaal vom Royal Palast, bekommt man schnell ein Gefühl dafür, warum viele Cineasten das Anschauen von Filmen außerhalb eines Kinos geradezu als Zumutung begreifen. Ich kam nicht umhin, mich nach Verlassen des Kinos in meiner cinephilen Existenz unvollständiger als zuvor zu fühlen: Als Kind jener Generation von "VHS/DVD-Cineasten" scheint man Fime vergleichsweise beinahe wie durch ein Teleskop zu sehen.
Noch immer ist das Kino ein magischer Ort, der sich abhebt von jedem großen Fernseher, jedem Home Theater und jeder noch so fantastischen DVD vor allem durch den "Raum zwischen den Frames", den man vielleicht nur in seiner altmodisch-analogen Projektion überhaupt spüren kann. Godard hatte recht als er sagte, man hebe im Kino unweigerlich immer seine Augen hinauf zur Leinwand, während man sie beim Blick in den Fernseher senke.

Nicht weniger erstaunlich ist eine Eigenschaft von Filmbildern, die mir erst dann begegnet, wenn ich jenseits meiner alltäglichen Umgebung Filme schaue: Ihre genuine Fähigkeit nämlich, mir ein eigentümliches Gefühl von "Zuhausesein" zu bereiten. Es ist eben nicht nur die so anvertraute Beschaffenheit eines Kinosaals, die mir in jeder noch so fremden Stadt sofort behaglich erscheint, sondern auch das, was dort gezeigt wird. Die Bilder nämlich, die überall die gleichen sind, egal, ob nun Angelopoulos im Royal Palast, oder in den verwaschenen Eindrücken meiner alten Die Wanderschauspieler-Videokassette. Im denkenden, erinnernden Wesen des Kinos, das seinen eigenen Kosmos an Erfahrungen, sein eigenes Bewusstsein hat - refugial abgeschirmt vor allem, was keine Eintrittskarte zu dieser Welt hat. Auch das politischste oder vermeintlich "realistischste" Kino bleibt ein illusionsbeladenes Kuriosum, das seiner eigenen Grammatik (der Filmgrammatik und damit der "Lügengrammatik") folgt, die eben grundlegend anders ist.
Im Kinosaal werden diese immerwährenden Faktoren gebündelt. Überall. Gebündelt auf einen Fixpunkt im Raum, von dem alles ausgeht und von dem abzulenken es unbedingt zu vermeiden gilt: Alle Augen zur Leinwand, dem Mittelpunkt der Welt.
Die vier Filme, die ich auf der Berlinale sah, halfen allesamt, diesen Eindruck von der Eindringlichkeit und Alternativenlosigkeit des Filmesichtens in einem Lichtspielhaus zu verstärken:


Trilogie: Die Erde weint (2004) von Theo Angelopoulos:

Eines der depressivsten und pessimistischsten Werke in einer Karriere, der ein Gefühl für Leichtigkeit ohnehin seit jeher fremd war. Angelopoulos' neuer Film, Auftakt zu einer Trilogie, ist gravitätisch, in dem Sinne, dass alles hier größte Schwere hat; visuell, wie (wohl auch) im Gehaltlichen. Das Schneiden (da an sich schon einen Ansatz von Bewegung, von "Bilderschwerelosigkeit" ausmachend) hat er inzwischen auf ein absolutes Minimum reduziert, seine ununterbrochenen Kamerafahrten sind immens lang und - da werden ihm auch seine Gegner nicht widersprechen können - von ungeheuerer Meisterschaft in der Ausführung. Wo sich andere Meisterfilmemacher der Gegenwart, wie Hou, Kiarostami oder Tsai, immer mehr der Reduktion ihrer filmischen Mittel verschreiben, vielleicht, um gerade durch das Auflösen der Regie ein ultimatives auteur-Kino zu schaffen, da macht Angelopoulos Filme des konsequenten Hinzufügens: Von Symbolen, Referenzen und operngleichen Emotionsweiten.
Selbst diejenigen, die partout nicht in Kommunikation mit Angelopoulos' Entwürfen und Sequenzen treten können oder wollen, werden wohl trotzdem anerkennen müssen, dass er in diesem Fall zumindest der vielleicht größte lebende Formalist ist. Auch das ist nicht immer unbedingt eine schlechte Sache.

Eine ausführlichere Betrachtung zu Trilogie: Die Erde weint habe ich für die filmzentrale angefertigt.


Final Solution (2003) von Rakesh Sharma:

Sharmas annähernd vierstündiger, auf DV gedrehter Dokumentarfilm über die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Moslems in Indien ist beeindruckend zunächst vor allem aufgrund seiner immensen Fülle an Informationen - also gerade durch einen Aspekt, dem ich mich anfangs (irgendwo immer den Begriff des "kunstlosen" Lehrfilms im Hinterkopf) verweigerte. Je länger der Film dauert, desto mehr fällt aber auf, um wieviel betrachterische Gerechtigkeit Sharma bemüht ist. So hört man sowohl Zeugenberichten von Massakern, als auch minutenlangen Propagandareden ("Nicht jeder Moslem ist ein Terrorist, aber jeder Terrorist ein Moslem.") von beiden Seiten zu und wird am Ende vom Regisseur mit einem endlos vielschichtigen Bild der gegenseitigen Gewalt zurückgelassen, das nach eben jener Klarheit einer final solution (und das ganz und gar im positiven Sinne) schreit.
Auch das ist humanistisches Kino.


Goddess of Mercy (2003) von Ann Hui:

Was ansetzt wie ein Polizei-Thriller mit Liebesgeschichte und persönlicher Involvierung der weiblichen Hauptfigur in eine tragische Schicksalsfügung, endet in einem scheinbar enorm dramatischen, jedoch von einer verspielten, wenngleich kaum sichtbaren Ironie geprägten Finale, in dem es der Regisseurin gelingt, dem Film mit einer einzigen kurzen Einstellung den Funken einer möglichen Totalwendung zu verleihen, die der Zuschauer dann selbst zuende stricken darf - so er denn möchte. Das Gefühl jedenfalls, mit welchem man Goddess of Mercy dann verlässt, ist keines, das sich am Verlauf des Offensichtlichen orientiert hat; was durchaus eine schöne Sache ist.


Harlan County, U.S.A. (1976) von Barbara Kopple:

Der in der Reihe "New Hollywood" gezeigte Dokumentarfilmklassiker über den sich über mehr als ein Jahr hinziehenden Streik von Bergarbeitern in der amerikanischen Provinz Mitte der 70er-Jahre ist ein Beispiel für ein Kino der unmittelbaren persönlichen Involvierung eines Filmemachers: Kopples Kamera ist immer "vor Ort", gehört unverkennbar zu den Streikenden und weicht keiner Situation im auch in Gewaltakte ausufernden Arbeitskampf aus. Man mag die stark seitengebundene Sichtweise der Filmemacherin kritisieren, liebenswert und einnehmend ist sie allemal.
Besonders schön: Die Integration einer beträchtlichen Menge an Songs und Liedern dieser Zeit und insbesondere dieses spezifischen Millieus. Ebenso die vielfältige Fokussierung auf die Teilnahme der natürlich direkt an das Schicksal ihrer Ehemänner gebundenen Frauen der Bergarbeiter, die den Film in einem nicht ganz unbeträchtlichen Maß auch zu einem Stück feministischer Kinogeschichte macht.

Posted by Janis at 26.02.04 00:30 | TrackBack
Posted to im kino gewesen. geweint.


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